Montag, 8. Oktober 2012

Die stolzen Sprösslinge eines kurdischen Seyyed

Interview mit die Fatima Khanaka und Tochter Sien


Fatima Khanaka lebt seit 1976 in Österreich. Sie entstammt einer sehr angesehenen Familie in Kirkuk, dem seit Jahrzehnten von den Kurden des Iraks als Hauptstadt irakisch-Kurdistans beanspruchten Ölzentrum. Die Familie führt ihre Wurzeln auf den Propheten Mohammed zurück und besaß schon aus diesem Grund seit Generationen hohes Ansehen in der Region – Gefühle, die auch die kommenden Generationen, auch Fatimas in Österreich geborene Tochter Sien, mit Stolz erfüllen.


Die Khanakas besaßen seit Generationen eine Moschee, Khanaka, genannt, die scnließlich auch der Familie ihren Namen gab, nachdem Fatimas Vater und Onkel nicht den arabischen Namen ihrer Vorfahren – al-Hussein - tragen wollten. Fatima erinnert sich lebhaft an ihren Großvater, der eine starke und angesehene Persönlichkeit in Kirkuk gewesen war: Seyyed (Ehrentitel, den nur die Nachkommen Mohammeds tragen dürfen) Ahmed Khanaka hatte die Moschee von seinem Vater übernommen und sie zu einem wichtigen religiösen und sozialen Zentrum der Region ausgebaut. Zu dem gesamten Komplex gehörte neben der Moschee eine Schule sowie ein Gästehaus.

Ahmed Khanaka besaß 39 Dörfer in der Umgebung von Kirkuk, wo reiche Salzvorkommen der Familie ihr Einkommen sicherten. Wiewohl eine starke Persönlichkeit, schildert Fatima ihren Großvater als einen Mann, der seinen Stand als Stammesführer nie ausspielte, sich immer nur als Oberhaupt seiner Familie präsentierte. Und er war großzügig gegenüber seiner Umwelt, seinen Freunden, aber auch seinen Bauern, denen er zwei Drittel ihres Arbeitsertrages zugestand, in einer Zeit, da Aghas normalerweise den für sie Arbeitenden nur zehn Prozent der Einkünfte überließen.

Ahmed Khanaka hatte ein offenes Herz und stets offene Türen für Freunde, für Notleidende, und Verfolgte, aber auch für Studenten, die vom Land zur Ausbildung in die Stadt kamen. Sie wohnten im Familienhaus, ebenso wie Dichter und Schriftsteller, deren Familien sie als „Nichtstuer“ verstoßen hatten und Frauen, die vor ihren brutalen Ehemännern geflüchtet waren. Sie fanden bei Ahmed Khanaka zu einer Zeit Schutz, wo es sogar in Europa noch längst keine Frauenhäuser gab. Die Autorität des Seyyed in der Stadt, ja der ganzen Region war so groß, dass es kein Ehemann wagte, die Geflüchtete zur Rückkehr zu zwingen. Es waren diese Frauen gewesen, die Fatima und ihre sieben Geschwister groß gezogen hatten.

Der Großvater war aber auch ein hochpolitischer Mensch, eine Autorität in der Stadt, deren Rat Bürgermeister und andere politische Führer insbesondere in kritischen Situationen stets suchten. Er war ein mutiger Mann, der sich nie scheute, seine Überzeugung, vor allem auch seine kurdische Identität, kundzutun und danach zu handeln. Als in den 40er Jahren etwa nach einem Putschversuch gegen die Engländer in Kirkuk drei Briten von den Lokalbehörden festgenommen worden waren, setzte sich Ahmed Khanaka entschieden dafür ein, dass sie nicht exekutiert wurden und sorgte dafür, dass sie im Gefängnis gut behandelt wurden. Als Dank bot ihm der englische König ein Auto, einen Dolch und den Titel Sir an. Khanaka nahm nur den Dolch an. Ehrenbezeugungen von den Briten lehnte er offen ab, weil die Engländer das kurdische Königreich unter Scheich Mahmud zerstört hatten. Er betrachte sie als Feinde und zeigte dies unverhohlen. Deshalb schickten ihn die Briten auch zweimal in die Verbannung nach Basra. Doch sie konnten ihn nicht isolieren, ein Strom von Freunden und Anhängern waren ihm gefolgt.



Der Großvater hatte drei Söhne und eine Tochter, Miryam, die er über alles liebte. Zu einer Zeit, da es im Irak noch keine Schulen gab, legte Ahmed Khanaka großen Wert auf Bildung seiner Kinder durch Privatlehrer. Auch Miryam musste die beste Ausbildung erhalten. Später erzählte die junge Frau Fatima und allen Kindern im Haus abends häufig Geschichten. Besonders gerne aber sprach sie von der französischen Revolution und deren Ideale, die den Kurden große Hoffnung gäben. Die zentrale Bedeutung der Bildung auch für Mädchen wurde im Hause Khanaka von Generation zu Generation weitergegeben. Fatima und all ihre Geschwister – sechs Schwestern und ein Bruder -schlossen ein Hochschulstudium ab.

Den Mädchen, auch Sien, Fatimas in Österreich geborene Tochter, war Miryam eindrucksvolles Vorbild. In den 50er Jahren wurde sie zur Leiterin des Roten Halbmondes berufen, eine starke Persönlichkeit mit vielen Kontakten und wichtigen Verbindungen organisierte sie mit großem Erfolg Benefizveranstaltungen. Sie weigerte sich zu heiraten, weil sie – wie sie sagte – nicht in die Rolle eines Dienstmädchens gezwungen werden wollte und ihr Vater akzeptierte diese Position – höchst ungewöhnlich im Orient der damaligen Zeit.

Die Familie Khanaka brachte starke Persönlichkeiten hervor. Fatimas Vater war ein Rebell. Als junger Mann schloss er sich der“ Hak“-Bewegung (Freunde der Wahrheit) an und lebte in einer geschlossenen Gemeinschaft, wie Hippies, in freier Sexualität und nur mit Jute-Säcken bekleidet. Dort lernte er auch Fatimas Mutter kennen, die ihre Offenheit, ihre liberale Lebenseinstellung an alle Kinder weitergab und auch später, als sie1984 nach dem Tod ihre Mannes nach Österreich zog, die noch kleine Sien stark prägte.
Auch die Khanakas wurden Opfer des Baath-Regimes. Ihr Familienhaus liegt heute in Trümmern. Seit der Gründung des irakischen Staates hatten der Großvater und seine Nachkommen Probleme mit den Behörden und vor allem den Geheimdiensten des Regimes. 1973 musste Fatimas Vater flüchten, weil ein Haftbefehl gegen ihn erlassen worden war. Er fand im nordirakischen Kurdistan, im Einflussbereich Barzanis Unterschlupf. Seine Familie, durch die Arabisierungspolitik Bagdads massiv unter Druck gesetzt, folgte ihm mit Miryam ein Jahr später, flüchtete zu Fuß über Suleymania in den Iran und gelangte von dort ins freie Kurdistan. 1975 mussten sie nach dem Zusammenbruch des Barzani-Aufstandes alle in den Iran flüchten. Dort erfuhren sie von einem Asylangebot aus Österreich. Der Vater entschloss sich, drei seiner Töchter, darunter die 21-jährige Fatima, allein in die Fremde zu schicken, damit sie dort studieren könnten.

In Österreich machten sie zunächst ein hartes Flüchtlingsdasein durch. Sie wehrten sich gegen die Passivität der Behörden, die sie zu wochenlangem Nichtstun verdammt hatten und konnten sich rasch einen Deutschunterricht organisieren. Fatima erhielt schließlich ein Stipendium, um ihr im Irak begonnenes Landwirtschaftsstudium wieder aufzunehmen. Der vergebliche Kampf um Anerkennung ihrer Prüfungen wurde in der Erinnerung gemildert durch die starke Anteilnahme, die viele Österreicher ihr gegenüber am tragischen Schicksal der Kurden zeigten, das zu jener Zeit stark im Bewusstsein der Bevölkerung präsent war. Ganz im Gegensatz zur heutigen jungen Generation, die – wie Sien vor allem klagt – keine Ahnung über die Probleme der Kurden hat, alle Ausländer in einen Topf wirft und sich offensichtlich stark von rechten, ausländerfeindlichen Slogans beeinflussen läßt. Die Jugend, meint Fatima, ist größtenteils viel bequemer geworden und oberflächlicher als früher, lieblose Computermenschen.

Die kurdische Identität bei gleichzeitiger voller Integration zu erhalten, sieht Fatima nicht als Problem. Sie ist stolze Kurdin und hat viele österreichische Freunde. Sie fühlt sich loyal zu diesem Land, das sie als Flüchtling aufgenommen und ihr eine Chance gegeben hat. Und es überraschte sie sehr, als sie plötzlich von ihrer Tochter hörte, dass diese Probleme habe.

Sien fühlt sich als Kurdin und ist nicht stolz darauf Österreicherin zu sein. Während Fatima 2003 nach 29 Jahren erstmals wieder Kirkuk besuchte, war dies die erste Reise ihrer Tochter in die Heimat ihrer Vorfahren. Sie spricht Kurdisch, darauf hat Fatima immer geachtet. Sie hat in Österreich auch kurdische Freunde, aber sie kann sich nicht vorstellen in Kurdistan zu leben. Heimat ist für sie nicht ein Ort oder ein Land, Heimat sind Menschen, die Mutter, Freunde.

Sien hat sich nach eigenen Aussagen immer geniert, Ausländerin zu sein. Sie ist von Natur her schüchtern und litt darunter, anders auszusehen, als die Österreicher. Es quält sie, dass die Menschen hier auch nicht zwischen der Identität der Ausländer unterscheiden – Türken, Kurden, Marokkaner. Sie litt schon als kleines Kind unter einer mitunter problematisch positiven Einstellung zu Fremden, der Selbstverständlichkeit, mit der etwa ihre Lehrer annahmen, dass sie nicht Deutsch konnte, obwohl sie hier geboren wurde und Deutsch sprach wie die gleichaltrigen Österreicher. Fatima musste viele Jahre in den Schulen darum kämpfen, dass Sien wie ein österreichisches Kind behandelt würde. Erst als sie erwachsen wurde, lernte sie, mit den neugierigen, mitunter ablehnenden Blicken von Menschen umzugehen, die sie als unwissend oder dumm einstuften, weil sie kohlschwarze Haare hat. An der Universität, wo sie heute Dolmetsch studiert, fühlt sie sich aber wohl. Die Uni ist noch nicht vergiftet, sagt sie.

Die Familie ihrer Mutter, deren Rolle und Geschichte erfüllen Sien mit Stolz. So konnte sie allmählich quälende Zweifel an ihrer Identität überwinden. Heute bekennt sie sich stolz als Kurdin. Und dennoch leidet sie immer noch darunter, dass sie – wie sie sagt – nicht weiß warum sie hier in Österreich ist. Dass Sien ihre kurdische Identität nicht voll an ihre Kinder wird weitergeben können, wenn sie keinen Kurden heiratet, stimmt sie etwas traurig. Sie ist überzeugt, dass es ihr viel schwerer fallen wird, mit ihren Kindern Kurdisch zu sprechen, als ihrer Mutter, und Kurdisch schreiben und lesen kann sie ohnedies nicht.

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